Die Westfjorde – der wilde Nordwesten Islands
Mit seinen rund 360.000 Einwohnern ist Island das am dünnsten besiedelte Land Europas. Gerade einmal halb so viele Menschen wie in Frankfurt am Main leben auf der Insel im Nordatlantik und die Mehrheit ist in und um Reykjavík und an der Südwestküste des Landes zu Hause. Wer im naturbelassenen Island dennoch auf der Suche nach mehr Ruhe ist, wird diese spätestens in den Westfjorden finden.
Abgesehen vom rauen Hochland, ist keine Region Islands so dünn besiedelt wie die Westfjorde. Gerade einmal gut 7.000 Menschen leben hier auf einer Landfläche knapp drei Mal so groß wie Mallorca und auch Touristen verirren sich verhältnismäßig selten in die Westfjorde. Entsprechend dominiert hier noch mehr als im Rest des Landes wilde Natur und Abgeschiedenheit.
Die zerklüftete Halbinsel im Nordwesten des Landes gehört zu den ältesten Landmassen des geologisch noch sehr jungen Islands. Vor rund 15 bis 20 Millionen Jahren entstanden, beherbergt die Region der Westfjorde heute einige der beeindruckendsten Landschaften der Insel. Wenn du für deinen Urlaub auf Island zwei Wochen oder mehr Zeit hast, solltest du auf jeden Fall einige Tage in den Westfjorden einplanen. Die sehenswertesten Punkte will ich dir hier vorstellen.
Unterwegs in den Westfjorden
Bevor wir uns aber den Sehenswürdigkeiten der Region widmen, ein paar Worte zur Reiseplanung. Während man zwar die Möglichkeit hat mit dem öffentlichen Bus von Reykjavík innerhalb von gut drei Fahrstunden Hólmavík zu erreichen, fehlen im Rest der Westfjorde jegliche öffentliche Verkehrsmittel. Der einzige sinnvolle Weg die Region zu erkunden, ist also entweder mit einem eigenen Mietauto, oder mit einer geführten Tour.
Um die zahlreichen Schotterstraßen sorgenfrei zu bewältigen, lohnt sich hier – wie in ganz Island – auf jeden Fall ein etwas größeres geländegängiges Allradfahrzeug. Geführte Reisen und Ausflüge lassen sich am besten im Vorfeld von zu Hause aus oder in Reykjavík buchen. Um spontane Tagesausflüge in die Region zu buchen, fehlt in den Westfjorden mehrheitlich die touristische Infrastruktur.
Städte und größere Ansiedlungen in den Westfjorden
Um dies gleich mal vorwegzunehmen: Richtige Städte gibt es in den Westfjorden nicht. Aus unserer deutschen Perspektive sind selbst die größten Ansiedlungen in der Region nicht mehr als kleine Dörfer. Auf Grund der abgeschiedenen Lage, verfügt dennoch jeder Ort über alle notwendigen Dinge des alltäglichen Lebens wie einen Supermarkt, eine Tankstelle und – sehr wesentlich für die Isländer – ein kleines Schwimmbad.
Ísafjörður
Mit knapp 3.000 Einwohnern ist Ísafjörður die größte Stadt und das wirtschaftliche Zentrum der Westfjorde. Am Ísafjarðardjúp, einem großen Meeresarm im Norden der Region gelegen, wurde Ísafjörður auf einer Sandbank in einem kleinen Fjord erbaut und ist umgeben von steilen Berghängen.
Vor allem im 18. und 19. Jahrhundert war Ísafjörður von großer wirtschaftlicher Bedeutung auf Grund seiner florierenden Fischindustrie. Diese hat heute ihren Stellenwert verloren, stattdessen wird – wie auch im restlichen Island – der Tourismus ein immer entscheidenderer Wirtschaftsfaktor. Seit wenigen Jahren steuern im Sommer selbst die großen Kreuzfahrtschiffe Ísafjörður an, was für einen Ort dieser Größe mit Sicherheit nicht nur positiv zu bewerten ist und dem beschaulichen Flair Ísafjörðurs und der Umgebung langfristig hoffentlich keinen Abbruch tun wird.
Im geologisch, demographisch und architektonisch äußerst jungen Island, trifft man kaum auf alte Gebäude. Ísafjörður verfügt dennoch über ein winziges, aber sehr altes Stadtzentrum mit kleinen Holzhäuschen. Auch das älteste Haus Islands aus dem Jahr 1734 steht in Ísafjörður. Davon abgesehen hat der Ort jedoch nicht all zu viel zu bieten. Bei einem einstündigen Spaziergang wirst du alles Wesentliche entdecken können.
Gewohnt habe ich in Ísafjörður im gleichnamigen Hotel Ísafjörður. Das Hotel ist schlicht und sauber, wie ein klassisches Stadthotel ohne erwähnenswerten Schnickschnack. Für ein paar Nächte ist man dort aber sehr gut untergebracht.
Patreksfjörður
Der kleine Ort Patreksfjörður liegt im gleichnamigen Fjord im Westen der Region und falls du nicht mit dem Auto über Land anreist, sondern mit der Fähre von Stykkishólmur auf der Halbinsel Snæfellsnes auf die Westfjorde übersetzt, erreichst du nach dem Anlegen innerhalb von 45 Fahrminuten Patreksfjörður und damit die nächstgelegenen Übernachtungsmöglichkeiten. Auch für einen Besuch der imposanten Steilklippen Látrabjarg ist Patreksfjörður ein praktischer Ausgangspunkt.
Der Ort selbst hat mit seinen knapp 700 Einwohnern nicht viel zu bieten. Im Fjord befinden sich zahlreiche Fischfarmen, die den Menschen in Patreksfjörður mehrheitlich ein Auskommen ermöglichen. Als Tourist lohnt sich ein Spaziergang durch das Dorf, aber außer einer schönen Aussicht auf den Fjord, einer hübschen Kirche und dem obligatorischen Schwimmbad, gibt es in Patreksfjörður nicht viel zu entdecken.
Zwei Hotels habe ich in Patreksfjörður kennengelernt, zum einen das Fosshotel Westfjords und zum anderen das Hotel West. Die Fosshotels sind eine relativ große Hotelkette in Island mit einem soliden 3-Sterne Standard und einer guten Küche. Das Hotel West liegt nur wenige Gehminuten vom Fosshotel entfernt und ist eher klein und familiär, bietet aber von den Zimmern aus eine schöne Aussicht auf den Fjord und ein gutes Frühstück.
Hólmavík
Die größte Ansiedlung in den zentralen Westfjorden ist mit seinen 400 Einwohnern der Ort Hólmavik und sind wir ehrlich: Viel zu holen gibt es hier nicht. Bei einer Anreise auf die Westfjorde über den Landweg, ist Hólmavík ein naheliegender Zwischenstopp und neben einem Supermarkt, einer Tankstelle und – ja – einem Schwimmbad, gibt es in Hólmavík immerhin auch einen beschaulichen Hafen und ein paar wenige Cafés.
Der Grund, der die meisten Reisenden nach Hólmavík zieht, ist jedoch das kleine Museum für Magie und Hexerei. Für 1.100 ISK (rund 7,50 Euro) Eintritt, gibt es hier allerlei Skurriles und Übersinnliches zu bestaunen. Bei mir hat es leider zeitlich nicht für einen Besuch gereicht, aber da es vermutlich das einzig Besondere in Hólmavík ist, will ich dir das winzige Museum dennoch empfehlen. Das Museum ist täglich geöffnet und auch ein kleines Restaurant ist daran angeschlossen.
Die schönsten Aussichtspunkt in den Westfjorden
Auch wenn ich dir hier ein paar ausgewählte Aussichtspunkte der Region vorstellen will, erhebt diese Liste keinerlei Anspruch auf Vollständigkeit. In einem Land, in dem an jeder Ecke raue Berghänge, Klippen, Fjorde und Gletscher warten, bietet nahezu jede einzelne Perspektive die Qualität eines Aussichtspunkts. Allein bei der Fahrt durchs Land wirst du also ständig versucht sein anzuhalten und Fotos zu machen. Den herrlichsten Fernblick hatte ich in den Westfjorden allerdings an den folgenden Punkten.
Látrabjarg
Die Steilklippen von Látrabjarg gelten als der westlichste Punkt Europas. Genau genommen ist das nicht ganz korrekt, da die portugiesischen Azoren noch ein ganzes Stück weiter westlich liegen, mit Sicherheit ist Látrabjarg jedoch der westlichste Punkt Islands. Für Liebhaber von geographischen Superlativen dürfte dies allein schon ausreichen um Látrabjarg einen Besuch abzustatten.
Aber auch wenn die Lage für dich zweitrangig ist, muss ein Besuch der Steilküste bei einer Reise durch die Westfjorde auf jeden Fall auf deinem Programm stehen. Auf einer Länge von rund 14 Kilometern fallen hier die Klippen mit einer Höhe von bis zu 440 Metern senkrecht ins Meer (siehe das Titelbild zu diesem Beitrag), was bei gutem Wetter eine phänomenale Kulisse bietet.
Man hat hier die Möglichkeit ohne Absperrungen auf den grünen Wiesen oberhalb der Abbruchkante entlang zu spazieren und dabei die zahlreichen Seevögel zu beobachten. Im Frühsommer brüten in Látrabjarg bis zu einer Million Möwen, Lummen, Tordalke und – sie sind der Star der isländischen Tierwelt – Papageientaucher. Die knuffigen kleinen Vögel mit ihren bunten Schnäbeln sollen in Látrabjarg besonders wenig Scheu vor Menschen haben und daher toll zu fotografieren sein. Aber Achtung, die Papageientaucher sind in Island nur von Mitte Mai bis Mitte August anzutreffen. Bei meinem Besuch waren sie leider bereits wieder auf dem offenen Atlantik.
Latrar Air Station auf dem Bolafjall
Die optimale Basis um den Aussichtpunkt auf dem Berg Bolafjall im Norden der Westfjorde zu besuchen, ist Ísafjörður. Nach knapp 20 Kilometern passiert man den Ort Bolungarvík und fährt anschließend eine unasphaltierte Serpentinenstraße hinauf auf den Bolafjall. Eigentlich führt diese nicht explizit zu einem Aussichtspunkt, sondern zur Latrar Air Station, einer ehemaligen Radarstation auf dem Bolafjall.
Bei schönem Wetter hat man von dort einen spektakulären Ausblick, auf der einen Seite des Berges über ein weites Tal und auf der anderen Seite hinunter aufs Wasser bis hinüber zum Hornstrandir Nature Reserve an der gegenüberliegenden Küste des Meeresarms. Bei meinem Besuch waren wir vollkommen allein auf dem Bolafjall und selbst in Reisezeiten außerhalb der Pandemie, dürfte der Aussichtspunkt noch eher ein Geheimtipp sein.
Tröð Aussichtspunkt
Wenn man der Küstenstraße von Ísafjörður in die entgegengesetzte Richtung folgt, erreicht man nach einer knappen halben Stunde den Aussichtspunkt Tröð. Dieser befindet sich direkt an der Straße, bietet einen Parkplatz und einige Karten der Region. Besonders schön ist jedoch der Blick über den Fjord Álftafjörður mit seinen zerklüfteten Bergen bis hinüber zum Dorf Súðavík an der gegenüberliegenden Küste.
Súðavík erlangte im Jahr 1995 eine gewisse traurige Berühmtheit, als eine Lawine von dem steilen Berghang herab ging und zahlreiche Häuser zerstörte und 14 Menschen tötete. In Folge des Unglücks wurden zusätzliche Sicherheitsmaßnahmen umgesetzt, so dass eine Wiederholung einer solchen Tragödie heute glücklicherweise sehr unwahrscheinlich ist.
Heiße Quellen zum Baden in den Westfjorden
Dass die Isländer ihre Schwimmbäder lieben, wissen wir bereits. In den kalten und dunklen Wintern ist es auch nur naheliegend, dass man sich gerne in mollig warmem Wasser im Freien entspannt, ganz besonders dann, wenn es wie in Island an vielen Stellen auf Grund der geothermalen Aktivität einfach heiß und kostenlos aus dem Boden blubbert.
Die vielen warmen Quellen in Island haben in den Westfjorden zu einer besonderen Skurrilität geführt: Kleine Freibäder mitten im Nirgendwo. Da wäre etwa Krossneslaug direkt am Strand an der Nordwestküste der Westfjorde und Hörgshlíðarlaug im Fjord Mjóifjörður. Die kleinen Pools haben in der Regel eine Temperatur zwischen 35 und 45°C und sind kostenlos nutzbar.
Ich habe während meines Urlaubs den Reykjafjarðarlaug besucht, ein kleines Bad knapp 50 Kilometer östlich von Patreksfjörður. Das türkisfarben gestrichene, rechteckige Becken, ist in zwei verschiedene Temperaturstufen unterteilt. Außerdem befindet sich ein wenig versteckt hinter dem offiziellen Pool ein kleines natürliches Becken mit einer warmen Quelle. Auch hier kann man wunderbar entspannen. Reykjafjarðarlaug verfügt praktischerweise auch über ein kleines Holzhäuschen als Umkleidekabine und einfache Toiletten.
Weitere Naturattraktionen der Westfjorde
Wasserfälle und unberührte Natur gibt es in Island zuhauf. Die folgenden beiden Highlights sollten bei ausreichendem Zeitbudget allerdings in jedem Fall auf deinem Programm in den Westfjorden stehen.
Dynjandi Wasserfall
Die touristisch wohl am besten erschlossene Attraktion der Westfjorde ist mit Sicherheit der Dynjandi Wasserfall. Der größte Wasserfall der Region befindet sich rund 60 Kilometer südlich von Ísafjörður und beeindruckt mit seinem sanften Verlauf über mehrere Kaskaden und der nach unten hin immer breiter werdenden Form. Während der Dynjandisá Fluss oben mit einer Breite von rund 30 Metern den Berg hinab fällt, fächert sich der Wasserfall unten auf über 60 Meter Breite auf.
Bevor das Wasser endgültig das Tal erreicht, folgen unterhalb des Dynjandi sechs weitere kleine Wasserfälle, die ebenfalls sehr schön anzusehen sind. Auf der anderen Seite bedeutet das auch, dass man vom Parkplatz unten am Fjord bis zum Fuße des Dynjandi Wasserfalls einen rund 15-minütigen Aufstieg bewältigen muss. Der Weg ist allerdings bestens ausgebaut und erlaubt einige Zwischenstopps an den kleineren Wasserfällen auf dem Weg. Oben angekommen beeindruckt nicht nur die Kraft und die Größe des Wasserfalls, sondern auch der Blick über den Fjord und die angrenzenden Berge.
TIPP! Bei einer Anreise zum Dynjandi aus dem Süden kreuzt die Straße oben auf dem Dynjandisheiði Berg den Dynjandisá Fluss. Es lohnt sich an dieser Stelle einmal kurz anzuhalten und dem Flusslauf wenige Meter in Fließrichtung zu folgen. Hier kommt man zu einem kleinen, aber schönen Wasserfall oberhalb des Dynjandi und hat zudem einen fantastischen Blick weit über den ganzen Fjord.
Naturreservat Hornstrandir
Um das gleich vorweg zu nehmen: Meine Reisezeit hat leider nicht für einen Besuch des Hornstrandir Naturreservats gereicht, da ich das aber durchaus bedauere, möchte ich dir dennoch einen Besuch empfehlen.
Das Naturschutzgebiet umfasst eine Fläche von rund 580 km² und bildet die äußerste Nordspitze der Westfjorde. Seit den 50er Jahren ist das Gebiet unbewohnt und bildet heute ein Paradies für Polarfüchse, Seevögel und Wanderer. Wenn du also genug Zeit hast hier zu Fuß die Natur eine Weile auf dich wirken zu lassen, dann ist ein Abstecher ins Naturreservat Hornstrandir mit Sicherheit ein großartiges Erlebnis.
Geheimtipp – Seehunde und Waffeln! 🙂
An der Spitze der Landzunge zwischen dem Hestfjörður und dem Sköturfjörður lebt eine kleine Kolonie von Seehunden. Mit etwas Glück bietet sich hier für Tierfreunde also die Gelegenheit die knuffigen Meeresbewohner auf ihren Felsen vor der schönen Bergkulisse der Westfjorde zu fotografieren.
Wenige Meter weiter trifft man mitten im Nirgendwo auf ein kleines einzelnes schwarzes Häuschen unweit der Straße. Das Haus steht seit rund 120 Jahren und wurde jahrzehntelang von zwei Familien als Bauernhof betrieben. Heute befindet sich hier das Litlibær Café. Hier kann man die nach wie vor traditionell eingerichteten kleinen Räume anschauen und dazu werden frische Waffeln mit Marmelade und heiße Schokolade serviert. In den Sommermonaten hat das Litlibær Café täglich von 10:00 bis 17:00 Uhr geöffnet.